Panel Ü 50 (Juli 2018)

Alt und ausgesteuert?

Über 50-jährige Arbeitnehmende sind zwar weniger häufiger arbeitslos als andere Altersgruppen, haben es jedoch schwieriger, eine neue Stelle zu finden. Dennoch ist ihre Situation nicht verfahren. Mirjam Bamberger, Head Human Resources and Communications bei der AXA, Edgar Spieler, Leiter Arbeitsmarkt, Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), Daniel Neugart, Präsident und Geschäftsführer, Verband Save50plus sowie Pascal Scheiwiller, CEO von Rundstedt, diskutieren über die Ursachen der Arbeitsmarktsituation der über 50-Jährigen und zeigen Lösungsansätze auf.

Von links nach rechts: Pascal Scheiwiller, CEO von Rundstedt, Corinne Päper, Chefredakteurin HR Today, Mirjam Bamberger, Head Human Resources and Communications AXA, Daniel Neugart, Präsident und Geschäftsführer Verband Save50Plus, Edgar Spieler, Leiter Arbeitsmarkt, Amt für Arbeit und Wirtschaft, AWA.

 «Ältere haben Angst, keinen Job zu finden und in der Sozialhilfe zu landen», konstatieren Mirjam Bamberger, Edgar Spieler, Daniel Neugart sowie Pascal Scheiwiller. Diese Ängste seien gesellschaftlich tief verankert: «Es kommt vor, dass Arbeitnehmende schon mit 40 Jahren denken, dass sie zehn Jahre später Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben werden», sagt der Arbeitsmarktverantwortliche des AWA, Edgar Spieler. Von Rundstedt-CEO Pascal Scheiwiller stellt bei seinen über 50-jährigen Klienten einen ebenfalls zunehmenden Pessimismus fest: «Sie sind häufig bereits eingeschüchtert und demoralisiert, bevor sie eine negative Erfahrung gemacht haben. Sie haben Angst, keine adäquate Stelle mehr zu finden und auf dem Abstellgleis zu landen.» Ähnliches berichtet Save50Plus-Verbandspräsident Daniel Neugart: «Unsere über 50-jährigen Ratsuchenden sind nach einer Kündigung seelisch fix und fertig.» 

Diese Angst mache sich in den Betrieben breit – mit weitreichenden Folgen für die Arbeitgeber. «Oft herrscht dort ein psychologischer Altersdruck», sagt Neugart. «Die Älteren haben Angst, dass sie bei einem Vorfall aus dem Betrieb fliegen. Sie ducken sich, um nicht negativ aufzufallen.» Wer jedoch in ständiger Angst vor dem sozialen Abstieg lebe, so AXA-Head-HR Mirjam Bamberger, «tut viel, um seinen Job zu behalten. Er verbiegt sich, wird sich selbst untreu oder gerät sogar in einen Burnout.» Mit weitreichenden Kostenfolgen und Produktivitätseinbussen. Dass diese weitverbreitete Angst den Betrieben schadet, bestätigt Edgar Spieler: «Wir können es uns nicht leisten, dass eine grössere Zahl der Arbeitnehmenden mit angezogener Handbremse unterwegs ist.»

Doch woher kommt diese Angst und ist sie überhaupt gerechtfertigt? «Würden wir uns auf positive Ü50-Beispiele fokussieren, statt medial mit Negativbeispielen Angst schüren, wären wir mental ganz woanders», meint Edgar Spieler. Genauso nimmt Daniel Neugart die journalistische Berichterstattung wahr: «Es wird mehrheitlich über dramatische Einzelfälle geschrieben. Die Medien sind auf der Suche nach Opfern.» Eine optimistischere Sichtweise als die medial dargestellte vertritt auch Mirjam Bamberger: «Die Schweiz steht gegenüber anderen europäischen Ländern sehr gut da. Über 50-Jährige finden hierzulande sehr wohl Arbeit. Bisweilen brauchen sie dafür jedoch länger als jüngere Arbeitnehmende.» 

Dass es länger dauert, bis über 50-Jährige eine Stelle gefunden haben, zeigen die Statistiken: Zwar kann sich die Hälfte der 50Plus-Stellensuchende bereits nach einem halben Jahr bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) in Zürich abmelden, «dennoch rutschen ältere Arbeitssuchende deutlich häufiger in die Langzeitarbeitslosigkeit ab als jüngere», verdeutlicht Edgar Spieler. «Das ist ein problematischer Eckwert.» 

Die Arbeitssuche für ältere Arbeitnehmende dauert länger als bei jüngeren, das weiss auch Pascal Scheiwiller. «Arbeitgeber sind kaum mehr zu Kompromissen bereit und bevorzugen einen «Zero Gap» zum Stellenprofil», sagt der Outplacement-Experte. «Deshalb erstaunt es nicht, dass auch über 50-jährige, hochqualifizierte Ingenieure und IT-Fachleute teilweise Mühe haben, eine neue Stelle zu finden.» Ob sie die geeigneten Qualifikationen hätten, hinge hauptsächlich von den Bedürfnissen der Arbeitgeber ab. «Akademisch Ausgebildete mit Doppelstudium sind zwar teuer, aber nicht unbedingt richtig oder passend qualifiziert. Es gibt deshalb auch Arbeitnehmende, die viele Ausbildungen gemacht und in ihre Weiterbildung investiert haben und trotzdem aus dem Arbeitsmarkt herausfallen.» Ähnlich schätzt Edgar Spieler die Situation ein. Häufig sei das perfekte Arbeitnehmerprofil zudem mit der Forderung nach einem möglichst aktuellen Zertifikat verbunden, ergänzt Spieler. Das sei für ihn problematisch, «weil die Bildungsbeteiligung ab 40 Jahren massiv absinkt. Ältere Erwerbstätige sind dann im Nachteil.» 

Das Älterwerden wird in der Schweiz teilweise stigmatisiert, sind sich die Experten einig.

Als Beispiel dafür nennt AWA-Leiter Edgar Spieler einen Tagesanzeiger-Artikel, der das Alter der Schweizer Verwaltungsräte und den Vorwurf zum Inhalt hat, dass die Schweiz die Digitalisierung aufgrund des VR-Alters verschlafe. «Solche Aussagen unterstellen, dass ältere Arbeitnehmende nicht in der Lage sind, den aktuellen Trends zu folgen.» Von Diskriminierung will Edgar Spieler jedoch nicht sprechen, sondern eher davon, dass solche Altersbilder in den Köpfen verankert seien und korrigiert werden müssten. «Der Begriff Diskriminierung ist mit einer Vorwurfshaltung verbunden und wird den Arbeitgebern nicht gerecht.» Stelle man eine Branche in die Diskriminierungs-Ecke, «gehe erst mal gar nichts.»

Auch wenn die Qualifikationen stimmen: Ältere Mitarbeitende haben mit Missverständnissen zu kämpfen, meinen die Teilnehmenden. Denn meist sei nicht das Alter ein Grund für die Ablehnung eines älteren Arbeitssuchenden, sondern weil dieser von Arbeitgebern als überqualifiziert eingeschätzt würde oder ihm nicht geglaubt werde, dass er einige Schritte in der Hierarchie zurückgehen und eine weniger anspruchsvolle Aufgabe übernehmen wolle. Nebst diesen Aspekten haben Arbeitnehmende damit zu kämpfen, dass an ihrer Loyalität gezweifelt wird. «Arbeitgeber befürchten», ergänzt Daniel Neugart, «dass ältere Mitarbeitende mit einem geringeren Lohn abspringen, sobald sie ein besseres Angebot erhalten.»  Eine Denkweise, die für Mirjam Baumberger höchst absurd ist: «Es kann doch niemand beurteilen, was ein anderer Mensch will oder nicht.» Eine solche Haltung könne man sich in der Schweiz einfach nicht leisten, wenn man zeitgleich über einen Fachkräftemangel klage.

Doch wie verhindert man ein solches Kopfkino seitens der Arbeitgeber? «Die Privatwirtschaft muss mit positiven Fallbeispielen aufwarten», meinen Mirjam Bamberger, Daniel Neugart, Edgar Spieler sowie Pascal Scheiwiller und sie müsse intern sowie öffentlich aufzeigen, dass ältere Mitarbeitende einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Noch wichtiger ist für Pascal Scheiwiller aber, dass potenzielle Arbeitgeber und Arbeitnehmende besser miteinander kommunizieren und ihre Unsicherheiten gegenseitig offenlegen. 

Nebst den Bildern in den Köpfen müsse sich auch der Wissensstand der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmer verändern. Das Zürcher AWA sensibilisiert Firmen mit Zukunftsworkshops, bei denen auch Fragen zur Arbeitsmarktfähigkeit älterer Mitarbeitender diskutiert werden. Eingeladen sind interessierte Arbeitgeber, darunter auch viele KMU. Auch der Verband Save50Plus rüttelt Firmen auf: Etwa, indem arbeitslose Ü50-Jährige Termine bei Firmenlenkern vereinbaren und mit ihnen diskutieren, was sich beidseits verbessern müsste, damit es zu einer Anstellung kommt. Mit Erfolg, wie Save50Plus Präsident Daniel Neugart betont: «Viele Firmenchefs sind offen für diese Gespräche. Sie wissen, dass sich etwas ändern muss.» Daneben können sich Unternehmen als «altersneutrale Arbeitgeber» vom Verband zertifizieren lassen und so intern für den Abbau von Ängsten sorgen und nach aussen ihre Arbeitgeberattraktivität steigern.

Nicht nur im Betrieb, auch auf individueller Ebene seien Vorkehrungen zu treffen. Etwa indem ältere Arbeitnehmende zeitgleich mehrere Teilzeitstellen bekleiden und damit verhindern, «dass sie beim nächsten Stellenabbau wieder ohne Job dastehen», sagt. Neugart. Für Edgar Spieler ist die Werterhaltung von einst erlangten Zertifikaten besonders wichtig. «Ihrer Abwertung kann entgegengewirkt werden, in dem diese laufend aktualisiert werden.» Als Beispiel dafür nennt er das FMH-Arztmodell. Auch ein Informatiker könne jährlich einige Trainingstage absolvieren und Weiterbildungspunkte sammeln. So liesse sich verhindern, «dass ein Arbeitnehmender aus allen Wolken fällt, wenn er merkt, dass sein vor 20 Jahren erworbenes Zertifikat auf dem Arbeitsmarkt keinen Wert mehr hat.» Daneben seien Umschulungsmöglichkeiten wie eine Berufslehre für Erwachsene zu schaffen, weil sich viele Berufsbilder immer schneller verändern und Umschulungen vermehrt notwendig würden. «Sich weiterzubilden genügt nicht mehr.» 

Dass das herkömmliche Weiterbildungsangebot wenig zielführend ist, um Arbeitnehmende beschäftigungs- und arbeitsmarktfähig zu halten, findet auch Pascal Scheiwiller: «Die Weiterbildungsangebote hinken der Entwicklung ständig hinterher. Je dynamischer das Umfeld wird, desto wichtiger wird die betriebsinterne Weiterbildung.» Dies helfe den Unternehmen, agil zu bleiben und seine Mitarbeitenden zu binden. Bei der AXA kehrt man dem Schulklassenzimmer deshalb zunehmend den Rücken: Etwa mit Peer-to-Peer-Learning, um das Erfahrungswissen der Älteren mit dem Lernhunger der Jüngeren zusammenzubringen. «Damit die interne Weiterbildung Früchte abwirft», so Pascal Scheiwiller, müsse das Unternehmen jedoch Orientierung bieten und aufzeigen, welche Strategien dieses verfolge, welche Kultur es pflege und welche Entwicklungsmöglichkeiten es biete. «Regelmässige Standortbestimmungen helfen den Mitarbeitenden dabei herauszufinden, wie sie sich am besten entwickeln können.»

Zur aktuellen von Rundstedt Studie

Der Outplacement-Experte von Rundstedt lanciert an der Personal Swiss 2018 gemeinsam mit HR Today eine neue Staffel der Studienserie «HR Today Research».

Von April bis Juli 2018 ist die Schweizer HR-Community aufgefordert, an einer Umfrage teilzunehmen, die von Experten der von Rundstedt & Partner Schweiz AG konzipiert wurde. 2018 stehen die widersprüchlichen Phänomene des «Fachkräftemangels» sowie die «Ü 50-Problematik» der «ausgedienten Alten» im Fokus. Die Studieninhalte werden im Sommer ausgewertet, im Herbst publiziert und danach an einem Netztwerk-Event präsentiert.

 

Bereits veröffentlicht: Arbeitsmarkttrends

 


Bereits seit 1985 berät von Rundstedt Unternehmen und Einzelpersonen in Fragen rund um die Karriere und die Laufbahnentwicklung. von Rundstedt ist heute an 26 Standorten und mit mehr als 390 Mitarbeitern in Deutschland, Österreich und in der Schweiz tätig. Zur weiteren fokussierten Entwicklung der Geschäftstätigkeit in der Schweiz hat von Rundstedt 2014 die von Rundstedt & Partner Schweiz AG gegründet. Gerne beraten wir Sie an unseren acht Standorten in Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, St. Gallen, Zug und Zürich. ww.rundstedt.ch