Viele Branchen und Arbeitgebende klagen wieder über einen erheblichen Fachkräftemangel. Die Suche nach den richtigen Profilen und Leistungsträgern führt auf dem Arbeitsmarkt oft zum offenen Wettbewerb. Mit kreativen Initiativen und PR-Stunts buhlen Arbeitgebende um die Aufmerksamkeit der Fachkräfte und Talente. Zielpublikum dieser Kampagnen sind häufig Junge. Doch viele dieser an sie gerichteten Initiativen haben mit Effekthascherei mehr gemein, als mit einer nachhaltigen Arbeitgeberstrategie. Doch was macht eine solche eigentlich aus?
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick nach Deutschland. In unserem nördlichen Nachbarland leiden Arbeitgebende schon länger und stärker unter dem Fachkräftemangel. Daraus entstanden in den letzten Jahren viele innovative Initiativen. Der HR Excellence Award prämiert jedes Jahr eine Vielzahl der auffälligsten Kampagnen. Eine Auswahl:
Solche Charme- und Kreativitätsoffensiven haben auch in der Schweiz Hochkonjunktur. Dabei handelt es sich nicht um nachhaltige Strategien im Umgang mit Fachkräftemangel. Dazu wären eine ganzheitliche und vertiefte Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Präferenzen der Arbeitnehmenden nötig. Betrachten wir die gängigen Employer Branding Analysen und Studien wird immer mit den gleichen Kriterien operiert: faire Entlöhnung, angenehmes Arbeitsklima, Work-Life-Balance, Arbeitsplatzsicherheit, flexible Arbeitszeiten, interessante Arbeitsinhalte, Entwicklungsmöglichkeiten, Zukunftsperspektive und vor allem für die junge Generation die Sinnfrage und die Reputation als verantwortungsvolles Unternehmen. Wer hier punktet, schneidet bei Arbeitnehmenden gut ab. Corona und die Beschleunigung von Work 4.0 bringen zusätzliche, neue Aspekte in den Vordergrund. Flexibilität ist für Jüngere nicht nur bei der Arbeitszeitgestaltung ein wichtiges Kriterium, sondern bei der Gestaltung der Arbeitsinhalte, den Arbeitsort und die Arbeitsbedingungen. Dabei gewichtet die junge Generation die Anforderungen an ihre unmittelbare und eigene Arbeitsumgebung höher, als die Anforderungen an das ganze Unternehmen. Ihr Fokus ist also auf die eigene Person und Arbeitssituation gerichtet. Die Tätigkeit des Unternehmens, die Kultur und die Situation für andere Mitarbeitende sind für sie dagegen sekundär. Alle gängigen Modelle und Konzepte versuchen, diese Bedürfnisse der Arbeitnehmenden ins Zentrum zu stellen und die EVP (Employer Value Proposition) darauf auszurichten. Kaum jemand stellt jedoch die Frage, ob ein Streben nach Erfüllung dieser Bedürfnisse nachhaltig ist. In einem Weka-Beitrag relativiert Markus Weishaupt diesen konventionellen Ansatz und stellt diesen Kriterien ein paar andere erwähnenswerte Aspekte gegenüber.
Erfolg und Spitzenleistungen: Menschen gehören gerne zu den Gewinnern. Der Erfolg des Arbeitgebenden im Markt ist deshalb zentral, weshalb wirtschaftlicher Erfolg und Marktführerschaft wichtige Aspekte bei Arbeitgeberattraktivität sind. Ein Arbeitgebender muss anerkannte Spitzenleistungen erbringen. Das erfüllt Arbeitnehmende mit Stolz und motiviert sie. Für viele ist der Erfolg des Unternehmens sogar wichtiger als die Unternehmenskultur oder die Sinnhaftigkeit. Das wird häufig verkannt.
Nüsse knacken: Viele Leistungsträger möchten gefordert werden. In Zeiten von Work-Life und Selbstgestaltung stellt Boreout ein grösseres Risiko dar als Burnout. Die Aufgaben müssen Menschen an ihre Grenzen führen, beziehungsweise schwierig sein. Deren Erfüllung muss zudem Anerkennung und Bewunderung hervorbringen. Das treibt viele Menschen an. Die Glücksformel liegt dabei in der richtigen Kombination von Anforderungen und Fähigkeiten.
Aussortieren: Ein Arbeitgebende soll nicht blind in den «Wer bietet mehr-Olympiaden» mitziehen. Anstatt Arbeitnehmenden immer mehr zu bieten und den steigenden Ansprüchen um jeden Preis gerecht zu werden, ist ein betriebswirtschaftlich vernünftiges und konsistentes Gesamtpaket nachhaltiger. Die EVP muss zu den Werten des Unternehmens passen. Arbeitgebende sollten bewusst in Kauf nehmen, dass einzelne Mitarbeitende das Unternehmen verlassen. Damit ziehen sie jedoch die richtigen und passenden Arbeitnehmenden an und bindet sie nachhaltig.
Wertschätzung: Arbeitnehmende ins Unternehmen kommen und sie es häufig wegen der Führungskräfte verlassen. Die Führungskultur ist somit ganz entscheidend bei der Retention. Wertschätzung ist zudem kein Instrument, sondern eine innere Haltung. Deshalb sollten nicht die besten Leistungsträger zu Führungskräften und in zentrale Rollen befördert werden, sondern gute Menschen mit einer positiven Energie und einem ausgeprägten Sinn für Fairness und Empathie.
Mitsprachepflicht: Viele Arbeitnehmende fordern Mitspracherecht. Ein Arbeitgebender sollte jedoch viel weitergehen und Mitsprache zur Pflicht machen. Das ist Ausdruck einer wirklichen Involvierung und ernsthaften Beteiligung. Alle Mitarbeitenden müssen sich dort einbringen, wo ihnen Dinge auffallen, gefallen oder missfallen.
Die gängigen Arbeitgeber-Rankings und deren Messkriterien sollen also durchaus kritisch betrachtet werden. Es ist ja kein Zufall, dass sich Jahr für Jahr häufig die gleichen Namen in den Ranglisten tummeln. Einerseits müssen sich Arbeitgebende für die Teilnahme selbst anmelden. Es setzt also die Absicht voraus, sich in Szene zu setzen. Für die Resultate sind somit weniger die effektive Attraktivität, sondern vielmehr die PR-Aktivität verantwortlich. Andererseits ist die Vielzahl kleinerer lokaler Unternehmen in landesweiten Ratings nicht besonders interessant, weil sie schlicht unbekannt und damit im nationalen Vergleich weniger spannend sind. Deshalb befinden sich auch vorwiegend grosse und bekannte B2C Marken unter den Kandidaten. Hidden Champions unter den Arbeitgebern kommen somit kaum ins Rampenlicht.
Es gibt auch grosse und bekannte Unternehmen, die im Wettlauf um Talente und in den Rankings nicht in Erscheinung treten. Auch wenn sie nirgends als Sieger gefeiert werden, gelten sie aber unter Mitarbeitenden und im Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten als Traumarbeitgeber. Solche Firmen haben, dass sie nachhaltig erfolgreiche Arbeitgebende sind, ohne hohen Löhne zu bezahlen oder Work 4.0 Konzepte anzubieten. Darüber hinaus arbeiten sie mit klassischen Führungsmodellen und geben sich auf dem Arbeitsmarkt zurückhaltend. Sie überzeugen durch andere Attribute.
Firmen wie Hilti, Bühler, Stadler, Helsinn, VFC, Pomoca, Caran d’Ache, Bongénie Grieder oder die Swatch Gruppe sind nicht nur erfolgreiche Konzerne, sie geniessen auch einen hervorragenden Ruf und erfreuen sich einer grossen Beliebtheit und Loyalität. Das, obwohl sie keine Employer Branding Kampagnen fahren und in Sachen Lohn und Arbeitsflexibilität sehr zurückhaltend sind. Darauf angesprochen, erklären Schlüsselpersonen die Erfolgsstrategie damit, dass sie als Arbeitgebende einfach zuverlässige, solide und faire Partner seien. Sie bezeichnen sich nicht als agile Organisationen, sondern setzen auf Kontinuität, Berechenbarkeit, klassische Führungsmodelle und konsequent gelebte Werte.
Dahinter stehen häufig Unternehmerfamilien oder starke Führungspersönlichkeiten, für die Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein an erster Stelle stehen. In wirtschaftlich schwierigen Momenten wird beispielsweise nicht voreilig entlassen, Strukturen haben trotz dynamischem Umfeld länger Bestand und auf der Führungsebene gibt es wenig Fluktuation. Loyalität und Fairness werden vom Arbeitgebenden vorgelebt. Es verwundert daher nicht, dass Mitarbeitende das auch zurückgeben. Es wird viel von ihnen abverlangt, dafür werden sie intern aber auch gefördert. Es ist ein Nehmen und Geben. Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit und Stabilität gemischt mit hohem Leistungsanspruch, wirtschaftlichem Erfolg und solider Führung scheint ein nachhaltiger Erfolgsgarant auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Auch junge gut qualifizierte Arbeitnehmende interessieren sich zunehmend für diese Arbeitgebermarken, weil sie für Nachhaltigkeit und Erfolg stehen und eine klare Orientierung vorgeben.
Kommen wir nochmals auf die oben erwähnten Aspekte von Markus Weishaupt zurück. Es verwundert nicht, dass die Arbeitgeberattraktivität dieser Unternehmen wesentlich durch Erfolg, Spitzenleistung, Herausforderung, einem sorgfältigen Aussortieren, Wertschätzung und Mitsprache bestimmt wird. Das Erfolgsrezept liegt also nicht in der Strategie, dem Marketing oder dem Kalkül, sondern einer ehrlichen Wertschätzung, einer Gelassenheit und einem natürlichen Pragmatismus im Umgang mit dem Fachkräftemangel und neuen Trends.
Wir brauchen Ihre Meinung!
Wie erleben Sie den Fachkräftemangel und andere HR-Entwicklungen?
Wir bitten Sie und die ganze Schweizer HR Community, an der von-Rundstedt-Umfrage zum «Fachkräftemangel in der Schweiz» teilzunehmen. Wie erleben Sie den Fachkräftemangel und andere HR-Entwicklungen bei Ihnen im Unter-nehmen? Die Umfrageergebnisse werden im Spätsommer ausgewertet und im Oktober im HR Today publiziert.