KI in der Personalbeschaffung

Pascal Scheiwiller, Managing Director von Rundstedt

Pascal Scheiwiller, CEO von Rundstedt

2024 lanciert von Rundstedt zusammen mit HR Today eine neue Arbeitsmarktstudie. Diesmal nehmen wir die Rekrutierungspraxis der Unternehmen unter die Lupe. Wir möchten herausfinden, wie sich durch den zunehmenden Einfluss von Fachkräftemangel und KI das Rekrutierungsverhalten der Arbeitgeber verändert hat. Und was heisst das für die Stellensuchenden?

Innerhalb der HR-Community startet von Rundstedt schweizweit eine grosse Umfrage, um die aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen in der neuen Rekrutierungspraxis einzufangen. Die Ergebnisse werden in konsolidierter Form im Oktober 2024 publiziert.

KI schon heute im Einsatz

Die Logik eines Such- und Auswahlprozesses bleibt mit künstlicher Intelligenz (KI) zwar gleich. Sie dringt aber schon heute in praktisch alle Schritte des Rekrutierungsprozesses ein und stellt bewährte Methoden infrage und in den Schatten: Bewerberplattformen oder sogenannte Applicant Tracking Systems (ATS) scannen und filtern Lebensläufe nüchtern nach Schlüsselwörtern, Chatbots binden Bewerberinnen und Bewerber in Echtzeit ein, prädiktive Algorithmen behaupten, deren Potenzial besser zu kennen als diese selber, die automatisierte Planung von Vorstellungsgesprächen spart Zeit und reduziert Terminkonfusionen, die Anonymisierung von Profilen verringert Verzerrungen und unbewusste Diskriminierung und Big Data ermöglicht es, auch unerwünschte Informationen zu Bewerberinnen und Bewerbern im Gesamtbild zu berücksichtigen. Heute schon hat KI die Personalbeschaffung verändert, indem sie die Effizienz steigert, vermeintliche Verzerrungen reduziert und die Candidate Experience verbessert. Zu besseren Entscheidungen und mehr Qualität im Auswahlverfahren führt KI heute allerdings noch nicht.

Und morgen?

Matching-Technologien werden immer ausgeklügelter, die kulturelle Passung von Kandidatinnen und Kandidaten sowie deren soziale Kompetenzen können zielgenau geprüft und bewertet werden. Eine individuelle und personalisierte Candidate Journey kann relevante Jobempfehlungen aussprechen und gleichzeitig Entwicklungsvorschläge unterbreiten. Diese nehmen sowohl auf die aktuellen individuellen Karriereziele der Kandidatinnen und Kandidaten als auch auf die zukünftigen Unternehmens- oder Marktbedürfnisse Bezug. Kompetenz-Assessments werden automatisiert und interaktiv sein. KI wird Personalverantwortliche und Manager während des Vorstellungsgesprächs in Echtzeit unterstützen, indem sie anhand von Gesprächsverlauf und nonverbalen Signalen des Kandidaten ad hoc Thesen aufstellt und Fragen vorschlägt, wo und wie nachgehakt werden soll. KI wird Unternehmen Echtzeitdaten über den Arbeitsmarkt liefern und dabei helfen, ihre Arbeitgeberstrategien an die neuen Bedingungen und den Wettbewerb anzupassen. Schliesslich wird KI auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Förderung von Vielfalt und Inklusion spielen, indem potenzielle Verzerrungen in jeder Phase des Einstellungsprozesses eliminiert werden. Schon heute setzen Unternehmen statt auf konventionelle Assessment Centers oder eindimensionale psychometrische Analysen auf Serious Games, die durch KI gesteuert werden. Diese spielerischen Übungen basieren auf den Neurowissenschaften und ermöglichen es dank KI, kognitive Fähigkeiten (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, kognitive Flexibilität usw.) und Verhaltensweisen (Zusammenarbeit, Kommunikation, Risikobereitschaft, Stressbewältigung usw.) unbemerkt zu bewerten und neue Spielverläufe vorzuschlagen. Das Spiel passt sich in Echtzeit an und ein Spiel kann je nach Leistungsverlauf der Kandidatinnen und Kandidaten schwieriger oder leichter werden. KI ordnet diese anschliessend den verfügbaren und passenden Jobprofilen zu und es werden direkt persönliche Entwicklungsmöglichkeiten vorgeschlagen.

Wo bleibt der Mensch?

Den Menschen braucht es dabei mehr denn je. KI hat ihre Fehler, Lücken und ihre «Bug»-Momente: Sie kann Bewerberinnen und Bewerber als ungeeignet einstufen, obwohl sie in Wirklichkeit perfekt für die Stelle wären. Oder noch schlimmer, sie kann Mitarbeitende empfehlen und befördern, die auf dem Papier perfekt, in Wirklichkeit aber ungeeignet sind. An Anekdoten über diskriminierende Algorithmen mangelt es auch nicht. Wir erinnern uns noch an die Skandale ungewollter Verzerrungen von Algorithmen ausgelöst bei Amazon oder Unilever, die angeblich die Lebensläufe männlicher Bewerber bevorzugten, oder an die Apple Card von Goldman Sachs, die Frauen niedrigere Kreditlimiten anbot. Auch IBM (Altersdiskriminierung) und Facebook (demografische Fragestellungen) hatten ihre eigenen Geschichten. Die unbeabsichtigte Entfachung von Verzerrungen und Diskriminierungen beim Testen und bei der Einführung von KI-Modellen oder durch falsche Verwendung von Daten kann zu ineffizienten, diskriminierenden und schlichtweg falschen Ergebnissen führen. Das hat auch schon die Regulationsbehörden in der Europäischen Union auf den Plan gerufen. Wir müssen davon ausgehen, dass KI deshalb in naher Zukunft eine neue Regulierungs- und Compli­ancewelle auslösen wird.

Die Hürden von KI

Obwohl KI in Einstellungsprozessen zu bedeutenden Fortschritten geführt hat, gibt es immer noch Bereiche, in denen sie sich als inkompetent erweist. Bei Rollen, wo vernetztes Denken und umfassendes berufs- und branchenspezifisches Verständnis gefragt sind, oder für Aufgaben, wo Kreativität, emotionale Intelligenz, Empathie, Agilität am Arbeitsplatz, Netzwerkfähigkeit und Teamarbeit entscheidend sind, sind zuverlässige Bewertungen und Personalentscheidungen komplex. Menschliche Intuition ist da häufig zuverlässiger als Algorithmen. In Interviews hat KI noch Schwierigkeiten, offene Antworten oder erfahrungsspezifische Nuancen zu bewerten, die für fundierte Entscheidungen entscheidend sind. KI ist trotz der bemerkenswerten Fortschritte auch immer noch mit mehreren technischen Schwierigkeiten konfrontiert. Fehlendes Unterscheidungsvermögen lässt sie ungenaue Antworten geben, die Abhängigkeit von Daten führt zu Fehlinterpretationen. Der Schutz privater Daten in Verbindung mit dem DSG und der DSGVO stellt die Schweiz vor grosse Probleme. Das rein menschliche Verständnis und der gesunde Menschenverstand bleiben neben den logischen Fähigkeiten deshalb ein langfristiges Ziel der KI-Forschung.

Wichtig ist somit ein komplementäres Miteinander von Mensch und KI, und genau da liegt die wahrscheinlich grösste Hürde in vielen Unternehmen. Die Mitarbeitenden sind weder informiert noch geschult und verhalten sich passiv oder sogar ablehnend.

Der Faktor Mensch

Die menschliche Interaktion und die Empfindung bleiben bei der Auswahl von Lebensläufen, in Vorstellungsgesprächen oder in Assessment Centers entscheidend, um Beziehungskompetenzen, kulturelle Passung und komplexe Verhaltensmerkmale zu bewerten. Vorstellungsgespräche erfordern Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, Bewerberinnen und Bewerber über ihre Qualifikationen hinaus zu beurteilen. Die Einstellungsentscheidung muss und soll aber auch subjektive Faktoren berücksichtigen! Möchte ich diese Bewerberin, diesen Bewerber einstellen und mit ihr oder ihm zusammenarbeiten? Soll diese Person unser Unternehmen repräsentieren und ein Gesicht unserer Firma sein? Möchte ich sie jeden Morgen an der Kaffeemaschine treffen?! KI kann derzeit noch nicht alles verstehen.

Geht es auch ohne KI?

KI kommt, ob man will oder nicht. Sie ist keine Wahloption, sondern unumgängliche Realität. Somit tut sich ein jeder gut daran, sich, seine Tätigkeit und seine Rolle sowie sein Wirkungsumfeld dahin gehend kritisch zu hinterfragen. Es gilt herauszufinden, wie KI am besten genutzt werden kann, um sich selbst effizienter und stärker zu machen. Das gilt nicht nur für Recruiter und Stellensuchende, sondern auch für alle anderen Fach- und Führungskräfte: Sie werden nicht durch KI ersetzt und überflüssig gemacht, sondern durch die anderen Fach- und Führungskräfte im gleichen Berufsfeld, die KI besser nutzen und einsetzen.


Wie hat sich das Rekrutierungs­verhalten verändert? Wir brauchen Ihre Meinung!

Wir bitten Sie und die ganze Schweizer HR-Community, an der von-Rundstedt-Umfrage zur Rekrutierungspraxis teilzunehmen. Wie erleben Sie die Rekrutierungspraxis bei Ihrem Arbeitgeber und Firmen in Ihrem Umfeld? Die Umfrageergebnisse werden im Herbst ausgewertet und im Oktober in HR Today publiziert.

Nehmen Sie hier an der Umfrage teil