Arbeitsmarkttrends

Der Schweizer Arbeitsmarkt – die Trends und Entwicklungen im Überblick

Der Outplacement-Experte von Rundstedt lanciert gemeinsam mit HR Today eine neue Staffel der Studienserie HR Today Research. CEO Pascal Scheiwiler über die Hintergründe und Trends im Schweizer Arbeitsmarkt.

Pascal Scheiwiller, CEO der von Rundstedt & Partner Schweiz AG

Es gibt nicht viele Themen, die in Presse und öffentlichen Diskussionen so polemisch und intensiv diskutiert werden wie Arbeitsmarktthemen. Online Artikel über Fachkräftemangel, gestrandete ältere Mitarbeiter, Lohnexzesse, Burn-out Tendenzen, Arbeitsplatzverlagerungen, böse Manager, ausgenutzte Mitarbeiter, Einstellungspraktiken von Arbeitgebern, Abbauprojekte, Diskriminierung bei Beförderungen und Einstellungen, gestiegene Leistungsanforderungen oder Arbeitslosigkeit landen regelmässig Rekordwerte in den sozialen Medien und in den Kommentarspalten. Nur schon die monatliche Veröffentlichung der offiziellen Arbeitsmarktdaten lösen regelmässig Entrüstung und Unterstellungen aus, das SECO würde nur versuchen, die Realität zu vertuschen. Da ist viel Emotion, Frust und Misstrauen in den Diskussionen. Die Thematik berührt fast jeden, weil alle Menschen in irgendeiner Form selber davon betroffen sind.

All die oben erwähnten Brennpunkte sind schlussendlich nur Symptome in einem Marktumfeld, das von unterschiedlichen Trends und Entwicklungen geprägt ist. Hinter allem stehen die vier globalen Megatrends: das technologische Donnerwetter, die totale Globalisierung, der schleichende Wertewandel hin zum selbsterfüllenden ICH-Menschen und die demografischen Rahmenbedingungen. In diesem Kontext entwickelt sich der Arbeitsmarkt dynamisch weiter.

  1. Flexible Arbeitsverhältnisse

Das Marktumfeld verändert sich immer rascher. Veränderungen sind häufig unvorhersehbar. Entsprechend flexibel müssen Unternehmen reagieren können, um sich optimal auf Kurs zu halten. Es braucht agile Organisationsformen und möglichst flexible Arbeitsverhältnisse. Flexibilität ist hier nicht nur zeitlich zu verstehen, sondern auch inhaltlich. Deshalb sind Personalverleih, temporäre Arbeitsverträge, Jahresarbeitszeit, Projektverträge und Portfoliokarrieren auf dem Vormarsch. Das Hier und Jetzt dominiert die Arbeitsabsprachen. Abweichungen müssen sofort korrigiert werden. Dazu braucht es flexible Arbeitsverhältnisse. Outsourcing ist auf dem Vormarsch und die Zeit- und Projektarbeit boomt.

 

  1. Hire & Fire

Für rasche Umstellungen braucht es in der Schweiz nicht unbedingt die Unverbindlichkeit von flexiblen Arbeitsverhältnissen. Dank der relativ liberalen Ausgestaltung unseres Arbeitsrechts können strukturelle Anpassungen auch rasch und problemlos über gesteuerte Fluktuation erreicht werden. Arbeitgeber bauen Stellen parallel auf und ab. So können Strukturwandel sofort angegangen werden. Es fällt dabei auf, dass Arbeitgeber bei Umbaumassnahmen vorschnell die Entlassungstaste drücken, anstatt auf interne Mobilität zu setzen. Dies würde eine verstärkte Investition in die strategische Personalentwicklung verlangen. Diese ist aber sehr langfristig angelegt, ist ausserdem unzuverlässig und auch noch kostspielig. Deshalb ist die aufkommende Hire & Fire Mentalität oftmals der pragmatischere und einfachere Weg.

 

  1. Loyalitätskrise

Der Arbeitsmarkt ist stark von der Loyalitätskrise geprägt. Loyalität ist ganz allgemein als gesellschaftlicher Wert unpopulär geworden. An ihre Stelle sind Flexibilität und Selbsterfüllung getreten. Es ist heute wichtiger, seine Bedürfnisse und Wünsche sofort zu erfüllen, keine Zeit zu verlieren und sich selbst zu verwirklichen. Die Kurzlebigkeit und Veränderungsdynamik macht Loyalität auch besonders schwierig, weil es häufig unvorhersehbar ist, worauf man sich mit einem Commitment wirklich einlässt. Das zeigt sich in privaten und beruflichen Beziehungen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Arbeitnehmer wissen, dass sie jederzeit einer Restrukturierung zum Opfer fallen können und sich nicht auf ein langfristiges Arbeitsverhältnis verlassen können. Und Arbeitgeber investieren ungern langfristig in Talente und Arbeitskräfte, weil diese jederzeit opportunistisch abspringen können, um sich ihre persönliche Situation zu optimieren. Ein Blick auf LinkedIn Profile verdeutlicht, dass Loyalität nicht mehr gelebt wird.

 

  1. Zero Gap

Arbeitgeber sind immer weniger dazu bereit, bei der Besetzung von Positionen Kompromisse einzugehen und Profilabweichungen in Kauf zu nehmen. Ein Stelleninhaber muss die Jobanforderungen zu 100% erfüllen. Das hat grosse Auswirkungen auf die Bewerbungsstrategie von Arbeitssuchenden. Alles muss stimmen. Technische Details können zum Scheitern führen. Woher kommt diese Kompromisslosigkeit? – Die Spezifikationstiefe von Stellen steigt durch die zunehmende Spezialisierung laufend. Umso detaillierter sind auch die Anforderungskataloge. Ausserdem möchten Arbeitgeber sofort die gesamte Leistung eines Stelleninhabers abrufen können. Lange dauernde Aufbauarbeit oder Weiterbildungen sind zu aufwändig, teuer und unberechenbar, zumal sich der Arbeitgeber ja nicht auf den Payback und die Loyalität des Arbeitnehmers verlassen kann. Dazu kommt, dass sich Arbeitgeber heute diese Kompromisslosigkeit auch leisten können, weil sie das gesamte Potenzial des globalen Arbeitsmarktes ausschöpfen und die perfekten Profile finden können. Durch Internet können offene Stellen sofort veröffentlicht und durch die sozialen Netzwerke sogar zielgruppengerecht verteilt werden. Digitale Bewerbungsplattformen helfen bei der Bewältigung der Bewerbungsfluten und bei der perfekten Vorselektion. Nicht perfekte Profile bleiben deshalb bereits frühzeitig auf der Strecke, obwohl sie eigentlich gut passen würden.

 

  1. Globalisierung des Arbeitsmarktes

Globaler Arbeitsmarkt bedeutet nicht nur Global Sourcing und dass Arbeitgeber potenzielle Kandidaten mit Hilfe der digitalen Möglichkeiten global suchen. Es bedeutet auch, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im globalen Wettbewerb behaupten müssen. Für Arbeitgeber heisst dies, dass der Kampf um die besten Talente und das Employer Branding auf globaler Ebene stattfindet. Auch regionale KMU können gute Leute an globale Konzerne mit Sitz im Ausland verlieren. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich im Bewerbungsprozess gegen hungrige und qualifizierte Mitbewerber aus aller Welt behaupten müssen.

 

  1. Regulierungseinbahn

Regulierung ist ein Selbstverständnis eines jeden Staates. Alle Staats- und Lebensbereiche werden laufend reguliert, da der Staat für die Lösung neuer Probleme immer nur das Mittel von neuen Gesetzen und Verordnungen kennt. So ergeht es auch dem Arbeitsmarkt. Kündigungsschutz, faktische Mindestlöhne, Arbeitszeugnisvorgaben, Quotenrichtlinien, Sozialplanpflicht, Konsultationsverfahren und ganz aktuell die Stellenmeldepflicht sind nur ein paar wenige Beispiele, die den Schweizer Arbeitsmarkt in seiner liberalen Natur immer mehr angreifen. Die Politik möchte zentrale Anliegen wie Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitnehmerschutz, Datenschutz, Gleichstellung, Diversity und Fairness mit allen Mitteln durchsetzen. Das führt zu Regulierungsdruck. Und Regulierung ist eine evolutive Einbahn. Deregulierung ist ein theoretischer Begriff, der in der Praxis kaum stattfindet. Sie braucht eine Revolution.

 

  1. Verlagerung von Arbeitsplätzen

Arbeitsplatzverlagerungen zwischen Ländern ist vor dem Hintergrund von Strukturwandel und globalem Standortwettbewerb ein normales Phänomen. Durch die Digitalisierung, die Mobilität von Arbeit und die Wissensgesellschaft erfährt die Arbeitsplatzverlagerung eine völlig neue Dynamik. Während man vor 10-20 Jahren praktisch nur im Blue Collar Bereich von Produktionsbetrieben Stellen ins Ausland verlagert hat, ist diese Entwicklung nach den qualifizierten Dienstleistungsprofilen (Shared Service Centers) nun auch im Bereich der hochqualifizierten Fach- und Führungskräfte angekommen. Neben den hohen Lohn- und Standortkosten ist vor allem die zunehmende Ortsunabhängigkeit vieler Rollen und Funktionen dafür verantwortlich. Management Teams von Grosskonzernen sind heute schon global zusammengesetzt, dezentral aufgesetzt und virtuell geführt. Und Fachpersonen können mit einem virtuellen Führungsrhythmus von überall her arbeiten.

 

  1. Digitaler Umbau

Schafft oder zerstört die Digitalisierung unter dem Strich Arbeitsplätze? – Diese Frage wird nicht überall gleich beantwortet. Wenn wir aber in die Vergangenheit blicken und die früheren Momente betrachten, als Jahrhunderterfindungen neue Industrialisierungswellen ausgelöst haben, können wir uns auf die Auswirkungen der Digitalisierung freuen. Angefangen bei der Dampfmaschine bis hin zur Internetrevolution – revolutionäre Innovationen haben immer einen grossen Strukturwandel ausgelöst und dabei immer zu mehr Beschäftigung geführt. So wird auch der digitale Umbau nicht zu weniger, aber zu anderer Beschäftigung führen. Berufsbilder werden verschwinden oder sich fundamental ändern. Neue werden entstehen. Viele Geschäftsmodelle erfinden sich neu. «Disruptiv» wird 2018 «agil» als Adjektiv des Jahres ablösen. Dieser Strukturwandel erfordert eine gewaltige Bildungsoffensive.

 

  1. Mosaikkarriere

Die berufliche Entwicklung wird nicht mehr nur mit Aufstieg, Hierarchie, Chef sein, Verantwortung und mehr Salär in Verbindung gebracht. Dem Menschen werden persönliche Entfaltung, Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit und persönliche Freiheit immer wichtiger. Deshalb wird Karriere nicht mehr als Leiter dargestellt, sondern als individueller Berufsweg verstanden, der den eigenen Werten und Stärken entspricht. Erfolgreich ist wer glücklich ist. Die Mosaikkarriere ist geboren. Gemeint ist das Sammeln verschiedener Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Rollen und Funktionalitäten. Diese Erfahrungssteine werden dann zu einem Mosaik zusammengesetzt. Es entsteht ein persönlicher Entwicklungsweg. Das kommt den Unternehmen sehr entgegen, denn lineare Laufbahnmodelle können aufgrund der fehlenden Stabilität, Planbarkeit und Vorhersehbarkeit des betrieblichen Umfelds sowieso nicht mehr gewährleistet werden.

 

  1. Versteckter Arbeitsmarkt

Das AWA des Kantons Zürich hat in ihrer Studie im Dezember 2017 hervorgebracht, dass im Wirtschaftsraum Zürich rund zwei Drittel aller Stellen über den verdeckten Arbeitsmarkt besetzt werden. Diese Zahlen decken sich auch mit unserer von Rundstedt Statistik. Vom verdeckten Markt spricht man, wenn eine Stelle besetzt wird, ohne dass sie überhaupt formal ausgeschrieben wurde. Die Bedeutung des verdeckten Arbeitsmarkts hat laufend zugenommen. Um den administrativen und zeitlichen Aufwand offizieller Ausschreibungen zu vermeiden, werden einzelne Zielpersonen lieber direkt angesprochen und zum Gespräch geladen. Das passiert über persönliche Kontakte und heute vereinfacht über soziale Netzwerke. Das bedeutet für die Stellensuche, dass Networking und die laufende Positionierung in öffentlichen, auch virtuellen Räumen, ganz zentral werden. Aufgrund der neuen Stellenmeldepflicht (ab Juli 2018) wird der verdeckte Arbeitsmarkt in Zukunft bei all denjenigen Berufsarten mit erhöhter Arbeitslosigkeit allerdings drastisch zurückgehen. Umso wichtiger wird er bei den restlichen Berufsarten bleiben.

Diese Trends haben grossen Einfluss auf Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Verhaltensweisen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie führen einerseits zu vielen neuen Chancen und andererseits zu existenziellen Herausforderungen. Wenn man den öffentlichen Diskussionen und den politischen Debatten folgt, stehen vor allem drei Themen im Brennpunkt: Fachkräftemangel, die zunehmenden Schwierigkeiten der Ü50 und die Folgen der Digitalisierung. Hinter diesen Symptomen steht aber die gleiche fundamentale Herausforderung: wie können Wissen und Fähigkeiten von Menschen laufend und dynamisch auf die rasch wandelnden Anforderungen der Arbeitgeber ausgerichtet werden, so dass strukturelle Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel möglichst vermieden werden können? Damit verbunden ist ein weiteres Problem, das wir häufig nur anhand der rasant steigenden Depressions- und Burnout-Erkrankungen erkennen. Die Menschen müssen mit immer mehr Veränderungsgeschwindigkeit, Dynamik und Flexibilität klarkommen, obwohl diese Anforderungen dem Grundkonzept der menschlichen Natur widersprechen. So werden Resilienz und Agilität zu einer weiteren grossen Herausforderung.