Der demografische Wandel wird die Wirtschaft stärker prägen als KI

Edgar Spieler, Director Public & Innovation, von Rundstedt

Edgar Spieler, Director Public & Innovation, von Rundstedt

Während die Aufmerksamkeit in Unternehmen häufig auf technologische Disruptionen wie KI gerichtet ist,  droht eine tiefgreifendere Entwicklung übersehen zu werden: Der demografische Wandel verändert Konsumverhalten, Wirtschaftsdynamik und Arbeitswelt nachhaltiger – und stellt Unternehmen vor Herausforderungen, auf die sie bisher kaum Antworten gefunden haben.

Begriffe wie Transformation und Disruption sind in der Unternehmenswelt allgegenwärtig. Sie dienen dazu, den tiefgreifenden Wandel zu beschreiben, der häufig im Kontext neuer Technologien – insbesondere Digitalisierung und künstlicher Intelligenz – stattfindet. Im Fokus stehen dabei die Neuausrichtung von Unternehmenskultur, Geschäftsmodellen und Wertschöpfung. Doch während die technologischen Entwicklungen im Rampenlicht stehen, rückt eine weitreichende Veränderung in den Hintergrund: der demografische Wandel. Könnte es sein, dass seine Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeit grundlegender sind, aber weniger erkannt werden?

Das zentrale Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit besteht darin, Bedürfnisse zu befriedigen und dadurch Wohlstand zu generieren. Zwar lassen sich Bedürfnisse durch Marketing und Werbung in gewissem Mass beeinflussen oder verstärken – letztlich orientieren sich jedoch Angebot und Nachfrage an den tatsächlichen Erwartungen und Präferenzen der Konsumentinnen und Konsumenten. Produkte und Dienstleistungen müssen deren Anforderungen entsprechen, um nachhaltig erfolgreich zu sein.

Ein ähnliches Prinzip gilt für Technologien: Sie setzen sich nur dann durch, wenn sie gesellschaftlich akzeptiert sind – das heisst, wenn sie als nützlich wahrgenommen werden, mit bestehenden Gewohnheiten kompatibel sind und als sicher gelten. Der Erfolg des Internets und der Aufstieg sozialer Medien beruhen vorwiegend auf dem menschlichen Grundbedürfnis nach Kommunikation und Informationsaustausch. Sie ermöglichen es, orts- und zeitunabhängig mit einer nahezu unbegrenzten Zahl von Menschen in Verbindung zu treten. Nicht durchgesetzt haben sich dagegen 3D-Fernseher, weil es Menschen widerstrebt, auf dem Sofa eine 3D-Brille zu tragen.

Viele Bedürfnisse und Gewohnheiten verändern sich im Laufe des Lebens. Der Lebenszyklus spielt hier eine noch viel grössere Rolle als Werbung oder Technologien. Da die Gesellschaft altert, verändert sich mit den Bedürfnissen auch die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten substanziell. Daher wird die demografische Transformation unser Wirtschaftssystem stärker verändern als jede Technologie.

Die «Silver Economy»

Unter der Bezeichnung «Silver Economy» werden die den spezifischen Bedürfnissen von Personen ab circa 55 bis 60 Jahren entsprechenden Produkte und Dienstleistungen zusammengefasst. Dies umfasst Themen wie Gesundheit, Ernährung, Autonomie, Mobilität, Freizeit und Reisen, einfach handhabbare Technologien sowie finanzielle Belange. Es gibt kaum eine Branche, deren Produkte und Dienstleistungen nicht durch die Konsumwünsche Älterer geprägt werden.

Profitieren werden zum Beispiel die Pharma- und die Medtech-Branche (Medikamente, Hörgeräte, Augenoptik). Veränderungen kommen auf die Kosmetik («Ageless Beauty») oder die Immobilienbranche (altersgerechtes Wohnen) zu. Anspruchsvoll wird es unter anderem für die Bildung (in Regionen mit rückläufigen Schülerzahlen) sowie die IT-Branche (zunehmender Fachkräftemangel und veränderte Nachfrage).

Der demografische Wandel führt aber nicht nur zu einem steigenden Anteil der älteren Personen, sondern auch dazu, dass die Älteren finanzkräftiger sind als die Jüngeren. Vermögen werden in der Schweiz (wie in den meisten europäischen Ländern) häufiger geerbt als erwirtschaftet. Der Umfang der in der Schweiz vererbten Vermögen wurde für das Jahr 2022 auf 88 Milliarden Franken geschätzt. Das sind mehr als 10 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung im gleichen Jahr. Bedingt durch die Langlebigkeit erbt die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung aber erst, wenn sie selbst im Rentenalter ist. Der hohe und weiter steigende Anteil älterer Personen und ihre Finanzkraft führen dazu, dass die Bedeutung der «Silver Economy» für unser Wirtschaftssystem weiter zunimmt.

Die Kunst der Kundenzentrierung

Es gibt kein Unternehmen, für das Kundenorientierung nicht Priorität hat. Allerdings bleibt die konsequente Ausrichtung aller Unternehmensbereiche auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kundschaft anspruchsvoll. Um diese und ihre Erfahrung konsequent in den Mittelpunkt stellen zu können, wird nebst einer dienstleistungsorientierten Grundhaltung die Fähigkeit benötigt, «in den Schuhen der Kundinnen und Kunden zu gehen», empathisch ihre Bedürfnisse und Sichtweisen auf die mit dem Produkt oder der Dienstleistung verbundenen Themen zu verstehen.

Da ein zunehmend höherer Anteil der Kundinnen und Kunden zur älteren Generation gehört, ist es von Vorteil, wenn gemeinsame Lebenserfahrungen und das damit verbundene Weltwissen auch im Unternehmen breit repräsentiert sind. Altersdiversität bedeutet dann, dass das Unternehmen anschlussfähig an die verschiedenen Generationen der Kundschaft bleibt. Indem Unternehmen Routinen entwickeln, um die Potenziale älterer Mitarbeitender zu erschliessen, stärken sie gleichzeitig ihre Fähigkeit im Umgang mit der älteren Kundschaft. Die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der älteren Personen wird zu einem Bestandteil der Unternehmenskultur und wirkt gegen innen und aussen.

Die grosse Herausforderung der Unternehmen

Unternehmen analysieren ihr Umfeld permanent. Dies erlaubt ihnen, meist rasch auf Veränderungen im Markt und auf neue Technologien zu reagieren. Und sie sind sensibel im Hinblick auf rechtliche Regulierungen und politische Entwicklungen. Mit der sozialen Veränderung des demografischen Wandels tun sie sich ungleich schwerer. Die Tatsache des demografischen Wandels ist seit Jahrzehnten bekannt. Ist dieser Lernprozess für die Unternehmen besonders anspruchsvoll? Oder wie sonst kann es erklärt werden, dass Mitarbeitende 55 plus immer noch selten eingestellt und ältere Mitarbeitende weniger aktiv gefördert werden als jüngere?

Stimmt die These von der besonderen Herausforderung durch den demografischen Wandel, die wir in unserer Umfrage zu den Arbeitnehmenden 55 plus vertreten? Was macht Ihr Unternehmen, was unternehmen Sie, um Ältere zu rekrutieren, zu fördern, an das Unternehmen zu binden und vielleicht auch nach der Pensionierung weiter zu beschäftigen? Und was wäre zusätzlich nötig? Teilen Sie uns bitte Ihre Einschätzung mit. Wir freuen uns auf den Dialog mit Ihnen, vielen Dank! 


Konzepte und Lösungen der Arbeit­gebenden für Arbeit­nehmende 55 plus? Wir brauchen Ihre Meinung!

In den Unternehmen sind Konzepte zur Gewinnung, Entwicklung und Bindung älterer Mitarbeitender bis zur Pensionierung und darüber hinaus noch wenig verbreitet, obwohl bereits zahlreiche Ansätze bestehen, die sich für Arbeitnehmende 55 plus eignen. Die Lösungen umfassen ein Employer Branding, das gezielt auch ältere Mitarbeitende anspricht, sowie Rekrutierungsverfahren zur Entdeckung von Hidden Talents, die auch informell erworbene und transferierbare Fähigkeiten aufzeigen. Es bestehen Konzepte und Instrumente der lebenszyklusorientierten Personalentwicklung und des Generationenmanagements − um nur einige Beispiele zu erwähnen.

Gegenstand unserer Untersuchung und Umfrage wird auch sein, herauszufinden, welche Erfahrungen Unternehmen bereits heute mit Konzepten für ältere Arbeitnehmende machen. Warum führen andere Unternehmen solche Ansätze noch nicht ein? Sind sie an einem Fokus auf die Zielgruppe der älteren Mitarbeitenden interessiert? Welche konkreten Konzepte und Tools schätzen sie für das eigene Unternehmen als relevant ein?

Wir brauchen Ihre Meinung dazu! Die Umfrage wird Ende März lanciert. Verfolgen Sie das diesjährige HR-Research-Projekt auf www.research.hrtoday.ch und in «HR Today» – und nehmen Sie bitte an der Umfrage teil. Der QR-Code und der Link dazu erscheinen in der nächsten Ausgabe von «HR Today».

Nehmen Sie hier an der Umfrage teil